
Ohne Ton - genauer: ohne verständlichen Ton - gibt das Geschehen an der Theke allerdings gar nicht mal so viel her. Die Leute unterhalten sich, essen und trinken - wie das eben in einem Gasthause so üblich ist.
Drum lenkt der Magus den Kugelfokus ein wenig umher auf der Suche nach weiteren Forschungsfeldern. Etwas zur Linken sitzt inzwischen die Halbelfe am Kamintische, vertieft in ein Schreiben. Noch weiter drüben am großen Tische wartet die Dame nun wohl auf die Bedienung. Es sieht momentan nicht sehr erfolgversprechend aus.
Jedenfalls betrachtet sie eingehend das Geschehen an der Theke ohne Seitenblick auf den greisen Beobachter. Selbiger verliert dann auch beinahe das Interesse, doch mangels offenkundiger Alternativen mag sich an ihr oder ihrem Tische womöglich dennoch eine Forschungsfrage ergeben, wenn man nur lange genug die Szenerie mustert.
Und tatsächlich: Auch sie scheint elfisches Blut innezuhaben, sofern er die Form der Ohren recht deutet. Mit dem Mädel am Nachbartisch hat sie ansonsten allerdings wenig bis nichts gemein. Hier könnte sich ein kurzweiliges Feld der Betrachtungen eröffnen.
Kaum hat er seinen Fokus dorthin gelenkt, brechen zwei der Gäste aus dem kleinen Gewimmel hervor und gesellen sich unvermutet ausgerechnet an den eben noch betrachteten Kamintisch zu der scheuen Halbelfin. Jene wirkt auch gar nicht so unbegeistert, wie der Alte es vermutet hätte. Nun ja, gewiss gibt es viele, denen das Alter als etwas entweder Langweiliges oder Unheimliches gilt. In letzterem Falle flüchtet sich mancher womöglich aus der Vorstellung der eigenen Sterblichkeit. Ein Thema, das diesen greisen Magus auch nie sonderlich berührt hat...
Als Wissenschaftler ist man das Alleinsein ja hinreichend geübt, mag es auch immer wieder Lehrstunden, Rücksprachen und ganze Konvente geben, bei welchen es nicht bloß einem alten Mann bisweilen einigermaßen zuviel werden kann. Versonnen lässt dieser hier seinen Kristall absinken, ohne es recht selbst zu bemerken.
Wie viele Menschen - und anderes - man doch im Laufe eines Lebens so alles kennenlernt! Wegbegleiter, Weggefährten, Wegbereiter, Wegversteller... Jedenfalls sind sie alle dann irgendwann weg. Ein kaum sichtbares Schmunzeln ob des kleinen Wortspieles umspielt die faltigen Lippen.
Damals zu seinem hundertsten Geburtstag hat die Hälfte ja nicht einmal auf seine Einladung reagiert. Gut, manchen mag sie gar nicht erreicht haben oder die Antwort den Einladenden nicht, andere waren womöglich schon tot... So ist das eben in einer Welt, welche sich selbst in der Natur insbesondere durch Unzuverlässigkeit auszeichnet.
Jedenfalls bot dies zusätzlichen Grund, sogar die runden nicht mehr zu feiern. Es wird eh irgendwann bedeutungslos und anstrengend. Freilich kommt man dann mit der Zählung eher durcheinander, aber täglich geht viel wichtigeres Wissen verloren.
Genug des Trübsales! Was sind das draußen für Stimmen und Geräusche? Zu verstehen gibt es auf die Ferne nichts, freie Sicht hat er auch nicht, da das Fenster nahebei nicht genügenden Blickwinkel bietet. Aber wofür ist man schließlich Magier!
Schon hebt sich die Kristallkugel wieder vor die Augen. Einen Fokus um die Ecke zu leiten, ist keine Übung für Adepten. Wobei...
Wieder schmunzelt er in sich hinein, doch auf einmal sieht er das Fenster zur anderen Seite in der Kugel - allerdings von außen! Davor steht doch tatsächlich so ein Echs und schaut hinein! Ist das etwa dieser verrückte - wie hieß er gleich? - Ko... Koatl müsste es gewesen sein - welcher da mit einem anderen Magus spricht? Vermutlich noch immer auf der Suche nach jenem Stein, welcher hohl und oliv zu sein habe. Ob er ihn wohl je gefunden hat?
Anscheinend gibt es hier irgendwelche Kraftlinien, welche die Fähigkeiten der Kristallkugel durcheinanderbringen und erweitern. Dem wird noch nachzugehen sein.
Plötzlich wechselt das Bild in den dem Lichte nach zu urteilen wohl abendlichen Schankraum. Mittendrin spielt ein stämmiger Kerl in bunter Wickeldecke und noch bunterer Bommelmütze mit der Laute auf und singt dazu, drumrum hopsen fröhlich Leute wie ein schlaksiger ebenfalls farbenfroh gewandeter rotblonder Jüngling, ein noch jüngerer und vielleicht seine Schwester in einfacheren Gewändern, ferner möglicherweise schon wieder eine Halbelfe im Satinkleide...
Moment einmal, tatsächlich zu hörende Musik? Ton hatte er bislang noch nie! Ach nein, die noch unsortierten Klänge dringen vom Nachbartische herüber, da der Schwarzgewandete sein Instument vorbereitet.
Schön, wie konzentriert der mutmaßliche Barde bei der Sache ist! Sorgfalt ist etwas überaus Anerkennenswertes! Entsprechend zeigt sich auf dem faltigen Antlitz erneut ein wohlwollendes Lächeln. Das erinnert ihn daran, wie er selbst als junger Mann eine Melodie mit Reagenzgläsern zu spielen versucht hat. Gewiss keine große Virtuosität, aber hinreichend lustig.
Zwar bietet er einen schönen Eindruck, dieser Barde, jedoch gibt es ansonsten wenig daran zu entdecken. Außerdem wollte der Alte ja schauen, was sich vor der Türe ereignet, wie er sich nun erinnert, da die Kristallkugel so schwer in seiner Hand liegt.
Daher Blick und Konzentration wiederum auf diese gerichtet, zeigt sich zunächst ganz natürlich das nunmehr wieder dahinterliegende Fester. Des Magiers Wunsche folgend, welcher angestrengt seinen Kopf zur Seite neigt, wendet sich das Abbild etwas nach links, verschwimmt dabei ein wenig, verzerrt den Hintergrund mit den umliegenden Feldern und Auen. Schließlich zeigt sich der wohlbekannte Eingang dieses Gasthauses. Er steht offen mit einer hineinschauenden Frau darinnen. Selbige dürfte die Wirtin von hinten sein. Daneben ein junger Bursche, den der Greis heute auch schon irgendwo gesehen hat. Wie schön: Man befindet sich in dieser Betrachtung also tatsächlich in der Gegenwart!
Wieder dieser Frage seines potentiellen vormaligen Aufenthaltes nacheilend, schwenkt des Magus Hand ein wenig beiseite, dass die aktuelle Ums-Eck-Übertragung abbricht und statt dessen eine junge Frau auf der anderen Seite der Türe in den Fokus der Kugel gerät. Wer ist das jetzt schon wieder? Wen will sie mit ihren verschränkten Armen eigentlich erschrecken, wenn ihr recht niedliches doch so dagegenspricht?
Zeigt die Kugel nun Gegenwart oder Vergangenheit? Zwecks Überprüfung hebt der Magus sein Haupt und somit den Blick am Kristall vorüber. Tatsächlich ist die Türsteherin überaus gegenwärtig. Womöglich wird sie gleich zu tun bekommen, da soeben die besonders junge Halbelfin auf das Mädel an der Türe zu eilt. Wiederum kaum genügend Zeit, für des Alten Lieblingsbeschäftigung, sich allerlei Möglichkeiten auszudenken wie ob sich die beiden kennen oder warum sonst die eine auf die andere zusteuert. Eine Verabredung mit ihr oder jemand anderem, eine Notdurft oder schlichter Bewegungsdrang gehören ja nur zu den wahrscheinlichsten.
Wird fortgesetzt...